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Comorbide Suchtproblematik

Gerade bei psychischen Erkrankungen liegt häufig auch eine Suchtproblematik vor.

Somit ist alleine schon aufgrund der Häufigkeit von Suchterkrankungen in der Bevölkerung ein regelmäßiger Prozentanteil an Menschen mit Suchterkrankungen in psychosomatischen Einrichtungen zu erwarten.

Die Entwöhnungskliniken haben mittlerweile i.d.R. insofern auf das häufige Auftreten solcher sog. Doppeldiagnosen (psychische Erkrankung und Abhängigkeitserkrankung) reagiert und die gleichzeitige Behandlung auch der psychischen Erkrankungen in ihr Konzept aufgenommen.

Umgekehrt existieren häufig noch keine suchtspezifischen Angebote in psychosomatischen Reha-Einrichtungen bis auf Raucherentwöhnungsprogramme.

Das kann dazu führen, dass zwar die Hauptdiagnose der psychischen Erkrankung, nicht jedoch die comorbide Suchtstörung behandelt wird.

Prognostisch stellt solch ein Vorgehen jedoch einen negativen Faktor dar, da sich psychische und Suchtstörungen häufig gegenseitig beeinflussen i.S. eines sog. negativen circulus vitiosus. So nutzen viele Menschen mit psychischen Beschwerden suchtfördernde Stoffe wie Alkohol oder illegale Drogen als dysfunktionalen Versuch der Selbstmedikation, worunter sich häufig eine eigenständige Abhängigkeitserkrankung ausbilden kann.

Zudem scheuen sich viele aufgrund noch immer vorherrschender Stigmatisierung offen zuzugeben, dass bei ihnen ein Abhängigkeits-oder Missbrauchsproblem vorliegt, teilweise ist ihnen die Erkrankung auch nicht in vollem Umfang bewusst.

Neben der skizzierten Problematik werden zahlreiche Rehabilitanden nicht erfasst, bei denen keine definitive Abhängigkeit vorliegt, wohl aber ein missbräuchlicher oder schädlicher Konsum.

Problematisch ist insbesondere, dass Menschen mit einem missbräuchlichen Konsumverhalten nicht in einer Entwöhnungsklinik behandelt werden können, da i.d.R. eine manifeste Abhängigkeitserkrankung Voraussetzung für eine Entwöhnungsbehandlung darstellt.

Umgekehrt haben viele psychosomatische Einrichtungen kein auf komorbide Suchtprobleme angestimmtes Therapiekonzept.

Im Reha-Zentrum Bad Pyrmont streben wir in der Schwerpunktklinik Psychosomatik eine Belegung von 168 stationären und ca. 10 ganztägig ambulanten Rehabilitanden an, was einer Jahresbelegung von ca. 1850 Rehabilitanden entspricht. Somit ist davon auszugehen, dass bei 265 Rehabilitanden, bezogen auf ein Jahr, ein riskanter Alkoholkonsum vorliegt.

Häufig wird der Fokus auf Tabak- oder Alkoholkonsum gelegt. Zunehmend findet jedoch auch der Bereich des Medikamentenmissbrauchs Beachtung.

Gerade bei psychischen Erkrankungen liegt eine hohe Komorbidität mit einer Suchtproblematik vor.

Der psychosomatischen Rehabilitation kommt eine besondere Bedeutung zu mit der Möglichkeit einer frühzeitigen Erkennung einer Suchtproblematik und der daraus resultierenden möglichen therapeutischen Intervention.

Gerade in der Psychosomatik besteht die Chance einer gleichzeitigen Behandlung sowohl der psychischen als auch der Suchtproblematik vor dem Hintergrund, dass sich beide Störungen häufig im Sinne eines circulus vitiosus gegenseitig negativ verstärken.

Es gibt zahlreiche Studien, die ein gehäuftes komorbides Störungsverhalten entweder zwischen einer primären Abhängigkeitserkrankung mit sekundärer psychischer Störung oder mit einer psychischen Erkrankung und der Entwicklung einer sekundären Suchtproblematik aufzeigen.

Ein großer Teil der Personen mit Suchtproblemen waren laut Schäfer (10) bereits in frühen Lebensphasen sexuellem Missbrauch, körperlicher Misshandlung oder anderen belastenden Erfahrungen ausgesetzt; so seien Posttraumatische Belastungsstörung bei Personen mit Suchtproblemen ausgesprochen häufig, würden in der Praxis jedoch nur zum Teil diagnostiziert und in Beratung bzw. Therapie angemessen berücksichtigt.

Insbesondere schildert er die Problematik, dass die Therapie derzeit mehrheitlich noch durch getrennte Behandlungsansätze für PTBS zum einen, für Substanzkonsumstörung zum anderen mit je niedrigen therapeutischen Ansprechraten und hohen Abbruchquoten gekennzeichnet ist.

Die genannten Beispiele mit dem Aufzeigen einer hohen Koexistenz zwischen psychischer Erkrankung und einer Suchtproblematik am Beispiel einer posttraumatischen Belastungsstörung soll exemplarisch die Komplexität und die Notwendigkeit eines übergeordneten Therapieansatzes mit Berücksichtigung ebendieser möglichen Komorbidität verdeutlichen.

Indikationen

Rehabilitanden*innen mit der Hauptdiagnose einer psychosomatischen Erkrankung und einem begleitenden komorbiden problematischen Konsum psychotroper Substanzen können bei uns behandelt werden.

Unsere Klinik verfügt über ein suchtspezifisches „know how“, so dass komorbide Suchtprobleme in der Regel mitbehandelt werden können.

Kontraindikationen

  • Suchterkrankungen mit Abstinenzunfähigkeit und einhergehender Reha-Unfähigkeit.
  • Erfordernis einer Entgiftungstherapie.

Die Basis unseres Konzeptes basiert auf einer interdisziplinären Teamarbeit. Es finden regelmäßig Teamsitzungen mit Psychologen, Ärzten, Ergotherapeuten, Sporttherapeuten und Sozialarbeitern statt.

Da es sich bei psychosomatischen Erkrankungen mit komorbider Suchtproblematik i.d.R. um ein multidimensionales Phänomen handelt, führt die gemeinsame Betrachtung aller Dimensionen zu einer angemessenen Erfassung der psychischen Beschwerden.

Diesem Anspruch muss selbstverständlich auch auf der Ebene der therapeutischen Rahmenbedingungen nachgekommen werden.

So kommen psychiatrische, psychologische, soziale und körpertherapeutische Behandlungselemente möglichst parallel und aufeinander abgestimmt zum Einsatz.

Die Erfüllung dieser Anforderungen ist nur in Einrichtungen möglich, in denen ein multiprofessionelles Team zur Verfügung steht.

Das Reha-Zentrum Bad Pyrmont arbeitet multimodal in einem multiprofessionellen Team.

Die wesentlichen Ziele unseres interdisziplinären-multimodalen Behandlungssettings sind die Wiederherstellung bzw. Verbesserung der durch die durch die zusätzliche Suchtproblematik bedingten Problembereiche und die Funktionsfähigkeit sowie Aktivität sowie die berufliche Wiedereingliederung bzw. Erhalt der Erwerbsfähigkeit und die Verbesserung der Lebensqualität durch eine Abstinenz, alternativ reduziertem, kontrollierten Suchtmittelkonsum.

Es kommen schulenübergreifend verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologische und systemische Angebote zum Tragen und werden im Behandlungssetting umgesetzt und durch integrative Ansätze ergänzt.

Durch das Vorhalten einer schulenübergreifenden Ausrichtung wird eine individuelle Schwerpunktsetzung innerhalb der psychologischen Therapie ermöglicht.

Das Kernstück des psychotherapeutischen Angebotes ist neben der bezugstherapeutischen Einzeltherapie die sogenannte „Interventionsgruppe Konsum“ mit psychoedukativen Inhalten, in den Informationen über Suchtmittel, neurobiologische Veränderung, weitere Behandlungsmöglichkeiten, Folgeschäden vermittelt werden. Dabei wird unter anderem bewusst die Gruppendynamik zur Stabilisierung eingesetzt.

Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen dienen Suchtmittel häufig als Versuch einer Selbstmedikation. So kann ein Alkoholkonsum kurzfristig Grübelgedanken lindern, langfristig beseht jedoch das Risiko der Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung.

Neue, nicht dysfunktionale Verhaltensweisen sollen somit erlernt, trainiert und im besten Falle automatisiert werden, um auch in Hochspannungs- und Stressphasen schnell und sicher angewendet werden zu können.

Die medikamentöse Therapie ist eine Säule der allgemeinen Psychotherapie und hat die Aufgabe einer langfristigen, anhaltenden emotionalen Stabilisierung.

Bei bereits erfolgter medikamentöser Einstellung ist deren unveränderte Weiterführung gewährleistet.

Kommen die Rehabilitanden mit einer unzureichenden Medikation zur Aufnahme, steht neben der Motivationsarbeit (Compliance) das Austesten von Medikamenten nach dem Richtlinienverfahren im Vordergrund.

Bei Auftreten milder Entzugssymptome kann eine symptomatische Bedarfsmedikation verordnet werden.

Die Sporttherapie als gruppenorientierte Therapie stellt die körperliche Belastbarkeit der Rehabilitand*innen unter Berücksichtigung von gruppendynamischen Aspekten wie einer motivierenden Gruppensituation in den Vordergrund.

Hier kommt es zu einer Verbesserung des Körpergefühls, des Selbstbewusstseins und einer Steigerung der sozialen Kompetenz, z. B. Ergometertraining, medizinisches Funktionstraining, Walking, Drums Alive oder Tai-Chi.

Die therapeutischen Prozesse während der Rehabilitation sind eng verknüpft mit Elementen der beruflichen Reintegration.

Ziele der medizinischen Rehabilitation sind es, eine drohende oder bereits manifeste Beeinträchtigung der Teilhabe am Arbeitsleben zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Zu Beginn der Rehabilitation erfolgt daher eine berufsbezogene Diagnostik in Bezug auf körperliche, geistige, psychische und soziale Leistungsfähigkeit der Rehabilitanden sowie deren Arbeitssituation und -motivation. Hierzu erfolgen indikationsbezogen Einzelgespräche mit Sozialmitarbeitern und Teilnahme an Vorträgen mit entsprechenden beruflichen/arbeitsbezogenen Inhalten.

Um eine anhaltende Stabilisierung der erreichten Rehabilitationsziele zu fördern, wird i.d.R. eine Reha-Nachsorge empfohlen und vermittelt. Dadurch wird in der Regel eine weitere Verbesserung der Belastbarkeit von traumatisierten Rehabilitanden im Beruf und Alltag erzielt.

Die Nachsorge kann sowohl in Einzel- wie auch in Gruppenbehandlungen durchgeführt werden.

Die Rehabilitand*innen mit der Hautdiagnose einer psychosomatischen Erkrankung erhalten das auf diese Erkrankung abgestimmte Therapieprogramm.

Zusätzlich werden bei Rehabilitand*innen mit komorbiden Suchtproblemen die im Folgenden beschrieben Therapiemodule ergänzend durchgeführt.

Das Konzept zur Behandlung von Menschen mit einer komorbiden Suchtproblematik beinhaltet neben den allgemeinen Einzeltherapien 2 zusätzliche einzeltherapeutische Sitzungen á 45 Minuten sowie 4 indikative Gruppensitzungen á 90 Minuten und 2 suchtspezifische Problemlösegruppensitzungen.

In den Einzelsitzungen soll zunächst eine Bewusstmachung der Problematik erreicht werden.

In einem weiteren Schritt geht es inhaltlich hautsächlich um die Motivation für weiterführende Massnahmen, schließlich um das Erzielen einer Veränderungs-motivation.

Hierauf aufbauend werden insbesondere die individuellen Problembereiche dargestellt und in Ergänzung zu den Gruppenmodulen Strategien zur individuellen Zielerreichung erarbeitet, z.B. das Erreichen einer Dauerabstinenz.

Die Gesprächsführung folgt dabei dem Ansatz des „motivational Interviewing“, wobei über das Herausarbeiten von Ambivalenz eine intrinsische Veränderungsmotivation erzielt werden soll

Aufgrund der vielen Gemeinsamkeiten von Tabakabhängigkeit und anderen Suchtmitteln können Rehabilitanden*innen, die eine isolierte Tabakabhängigkeit aufweisen, in das bestehende o.g. Therapiemodul verordnet werden.

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